Stadtspaziergang
Station 9 - Sicherheit
An dieser Stelle hinterfragen wir die Ängste von FLINTA* im öffentlichen Raum. FLINTA* erfahren eine verzerrte Wahrnehmung von Sicherheit, wobei ihre Ängste oft auf städtische Räume projiziert werden, während die Gefahren im privaten Bereich vernachlässigt werden. Diese Ängste beeinträchtigen die Freiheit von FLINTA*, haben soziale und wirtschaftliche Auswirkungen und verstärken ein System der sozialen Kontrolle.
Erklärungen zu Fachbegriffen, die wir verwenden, findest du in unserem Glossar.
Deweertscher Garten
Text zum Mitlesen
Ich habe ganz am Anfang bereits über die Sicherheit von FLINTA* im öffentlichen Raum und die damit verbundene Angst gesprochen. Auch der Deweerthsche Garten und die Treppe, die wir eben hinuntergegangen sind, werden als Raum genannt, in dem FLINTA* sich unwohl fühlen.
Wir haben bisher generell recht viel über Angst gesprochen. Dabei haben wir aber noch einen wichtigen Punkt außer Acht gelassen, denn es stellt sich die Frage, wie viel dieser Angst von tatsächlichen Ereignissen her ruht und wie viel davon durch die Medien, Erzählungen und „vererbte“ Ängste entstanden ist. Dir fällt bestimmt ein Film ein, der zum Beispiel in einem leeren Parkhaus beginnt und insbesondere Tatort Autor*innen scheinen diese Situationen besonders zu mögen.
Kurzer Disclaimer an dieser Stelle: Damit will ich nicht sagen, dass der öffentliche Raum ein sicherer Ort ist und dass hier niemandem etwas passieren wird. Es handelt sich durchaus um eine valide Angst. Beinahe jede FLINTA* Person hat auch schon Situationen erlebt, die diese Angst ausgelöst haben.
Trotzdem lenkt diese Angst von etwas anderem ab!
Denn die zahlenmäßig viel größere Gefahr für FLINTA* liegt im „geschützten“ privaten Raum. Verbrechen wie häusliche Gewalt oder sexuelle Übergriffe durch Bekannte erhalten viel weniger Aufmerksamkeit als solche, die im öffentlichen Raum stattgefunden haben. Dabei kennen 80 % der von Gewalt betroffenen Frauen die Täter*innen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass maximal bei 20 % der Gewaltverbrechen an Frauen die Betroffenen willkürliche Personen im öffentlichen Raum sind.
Diese verzerrte Aufmerksamkeit, die durch das patriarchal-heteronormative System und insbesondere die Medien erzeugt wird, führt dazu, dass die Furcht von FLINTA* nach außen gelenkt wird, weg von Zuhause und Familie, was patriarchale Institutionen wie die Kleinfamilie und das Vertrauen in heterosexuelle Beziehungen verstärkt.
Wie bereits an der ersten Station erwähnt, identifizieren FLINTA* die Stadt, die Nacht und unbekannte Personen oft als Hauptquellen ihrer Ängste. Die Angst von FLINTA* hat aber auch eine soziale Kontrollfunktion und schränkt ihr Leben in vielerlei Hinsicht ein. Dies führt paradoxerweise dazu, FLINTA* von Männern als Beschützern abhängig zu machen und sie an den privaten Raum des Hauses zu binden.
Die Angst von FLINTA* vor Kriminalität nimmt eine geografische Dimension an, dabei werden bestimmte Orte vermieden, um vermeintlich gefährlichen Männern aus dem Weg zu gehen. Diese Orte werden in der persönlichen mentalen Karte der Sicherheit und Angst verankert, die durch persönliche Erfahrungen, Medien, Stadtmythen und kulturelles Wissen geprägt ist.
Diese Karte haben wir in unserer Ausstellung am 8. März gemeinsam mit den Besucher*innen rekonstruiert. Wir haben gefragt, an welchen Orten sich die Personen wohlfühlen und an welchen weniger. Auch nach den Gründen hierfür haben wir gefragt. Dabei wurden die typischen Orte, wie der Hauptbahnhof, der Karlsplatz, aber auch abstraktere Orte wie Unterführungen genannt. Gründe für das Unwohlfühlen sind zum Beispiel eine schlechte Beleuchtung oder zu unbelebte Gegenden. Personen, mit denen wir sprachen, haben uns wirklich oft und beinahe mit einer erschreckenden Normalität davon berichtet, dass sie diese Orte umgehen und dafür längere Wege in Kauf nehmen.
Diejenigen Orte, an denen FLINTA* am häufigsten Opfer von Gewalt werden, wie das Zuhause, werden jedoch oft nicht als gefährlich wahrgenommen und wurden auch bei unserer Untersuchung nicht genannt. Stattdessen werden Bedrohungen auf städtische Räume wie Parks und Parkhäuser verlagert, die oft rassistisch oder klassistisch kodiert sind. Das bedeutet, dass die Ängste auf ohnehin diskriminierte Personen verlagert werden und diese dadurch zusätzliche Nachteile erfahren.
Die Angst von FLINTA* begrenzt ihre Freiheit und hat erhebliche soziale, psychologische und wirtschaftliche Auswirkungen. Indem FLINTA* zum Beispiel durch diese Angst von Orten ferngehalten werden. Diese Ängste führen aber auch zu realen materiellen Konsequenzen, zum Beispiel durch zusätzliche Kosten für Sicherheit wie Fahrten mit dem Taxi, und verstärken ein System der sozialen Kontrolle, das FLINTA* daran hindert, ein vollständiges und unabhängiges Leben in der Stadt zu führen.
Gehe nun die Friedrich-Ebert-Straße entlang. An der VHS findest du das Helene-Stöcker-Denkmal – Das ist unsere nächste Station zum Thema Erinnerung.