Stadtspaziergang
Station 2 - Angst
Erfahre, wie FLINTA*-Personen im öffentlichen Raum mit Ängsten konfrontiert sind, zum Beispiel in Parkhäusern oder beim Warten auf Verkehrsmittel. Wir diskutierten über Sicherheitsmaßnahmen wie verbesserte Beleuchtung und konsumfreie Aufenthaltsorte und geben Einblicke in die Bedürfnisse queerer Personen im Stadtraum und die Herausforderungen von Mehrfachdiskriminierungen.
Erklärungen zu Fachbegriffen, die wir verwenden, findest du in unserem Glossar.
Luisenstraße 56
Text zum Mitlesen
Du stehst gerade vor dem Parkhaus am Kasinogarten. Gehe, wenn du dich dabei wohlfühlst, einmal in das Parkhaus hinein und lasse die Atmosphäre auf dich wirken.
Parkhäuser sind bei unseren Befragungen und Recherchen ganz besonders häufig als Orte genannt worden, an denen FLINTA* sich unwohl fühlen. Vermutlich geht es dir genauso.
Du stehst hier vor oder in einem recht neuen Parkhaus, das gut ausgeleuchtet ist. Das Parkhaus wurde bis zum letzten Jahr saniert. Du kennst aber sicherlich auch Parkhäuser, die in wesentlich schlechterem Zustand sind und bei dir sofort Beklemmung auslösen. Und auch hier, in einem eigentlich ganz schicken Parkhaus gibt es viele uneinsichtige Ecken, die als potenzielle Verstecke dienen können, man fühlt sich allein und hat das Gefühl, dass niemand zur Hilfe kommt, wenn man rufen würde.
Eine Person hat uns dazu geschrieben:
„Ich suchte vor 1-2 Jahren einen Platz, um unsere Fahrräder abzustellen. Mehre Männer sagten, dass ja vielleicht bald im neuen Parkhaus hier unten Fahrradstellplätze entstehen … nicht nur ich fühle mich in Parkhäusern unsicher - meine Töchter möchte ich erst recht nicht allein in ein Parkhaus schicken …“ – weiblich, 45
Generell bezogen sich die Antworten auf die Frage, wovor Personen im öffentlichen Raum Angst haben, in den meisten Fällen auf Belästigung im öffentlichen Raum: Personen haben Angst vor Catcalling, sexuellen Übergriffen und betrunkenen Männern. Sie fürchten die Nacht und unbeleuchtete Ecken. Die Angst bezieht sich dabei nicht nur auf öffentliche Plätze, sondern auch auf den öffentlichen Nahverkehr.
Wie selbstverständlich beschreiben Betroffene, dass sie diese Plätze meiden und insbesondere nachts Umwege in Kauf nehmen, Verteidigungsmaßnahmen ergreifen, wie Schlüssel zwischen den Fingern zu halten oder andere Kleidung anzuziehen. Das Subway-Shirt beschreibt das Phänomen für die Wege im öffentlichen Raum etwas überzuziehen, um weniger aufzufallen.
In unserer Ausstellung wurde sich mehr Beleuchtung an dunklen Orten gewünscht. Und auch eine Übersichtlichkeit der Orte, also das Vermeiden von Ecken, die als Verstecke dienen können, kann helfen durch bauliche Maßnahmen das Sicherheitsgefühl von Frauen zu erhöhen. Wichtig sind außerdem Fluchtmöglichkeiten, denn zum Beispiel Unterführungen und auch andere Räume, bieten leicht die Möglichkeit einer Person den Weg abzuschneiden.
Schließt ein Club oder eine Bar, muss man in der Nacht oft noch sehr lang auf den nächsten Bus oder die nächste Bahn warten. In dieser Situation ist man recht schutzlos und ich würde vermuten, vielleicht auch du bestätigen kannst, dass das eine Situation ist, in der man besonders häufig angesprochen und belästigt wird. Um diese Situation zu vermeiden, sollten Orte geschaffen werden, die konsumfreien Aufenthalt rund um die Uhr ermöglichen.
Solang es solche Angebote nicht flächendeckend gibt, unterstütze andere bitte! Sprich Menschen an, die gerade in ein offensichtlich unfreiwilliges Gespräch verwickelt sind oder wenn du in einer Bar arbeitet, biete Personen, die allein sind an, noch kurz zu bleiben, bis der Bus fährt, während du aufräumst. Wenn du männlich gelesen wirst und seit 10 Minuten den gleichen nach Hause weg, wie eine FLINTA* Person hast, dann ist es vielleicht für dich mal an der Zeit einen Umweg in Kauf zu nehmen, damit die Person sich nicht verfolgt fühlt.
Zivilcourage zu zeigen, ist ganz wichtig, denn zu wissen, dass andere Personen Hilfe leisten, wenn mir etwas passiert, kann das Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum stark erhöhen.
Die Vorschläge, die wir im Verlauf des Spaziergangs machen, sind oft bauliche, da wir uns hier auf den öffentlichen Raum beziehen. Diese Maßnahmen können helfen, die Situation zu verbessern. Sie tragen aber nicht dazu bei, das Verhalten von Personen zu ändern, die FLINTA* diskriminieren, belästigen oder auch einfach nicht respektieren. Dass es hier einer radikalen Veränderung bedarf, ist klar – hierzu schlagen wir aber keine Maßnahmen vor, da das unseren Rahmen sprengen würde.
Einige dieser baulichen Maßnahmen muss ich noch einmal in einen neuen Kontext setzten, denn ganz so einfach ist es nicht. Unterschiedliche Gruppen, haben unterschiedliche Bedürfnisse. Bei den obenstehenden geht es eher um die Bedürfnisse von Frauen im öffentlichen Raum.
Wir haben Rückmeldungen von queeren Personen bekommen, die aufgrund ihres Aussehens, ihrer Sexualität oder auch nur aufgrund von queeren Zeichen, wie Regenbogenflaggen diskriminiert wurden.
Eine Person berichtet zum Beispiel, dass sie im Bus wegen eines Regenbogenarmbandes angepöbelt wurde. Eine andere beschreibt, dass sie sich ebenfalls im Bus nach einer CSD-Parade mit einer Regenbogenflagge im Gesicht unwohl und unsicher gefühlt hat.
Queere Personen werden im öffentlichen Raum beschimpft, wenn sie mit ihren Partner*innen unterwegs sind oder auch nur wegen ihres Aussehens belästigt und teilweise sogar angegriffen.
Daher wünschen sich queere Menschen im Stadtraum oft mehr Schutz. Beleuchtung und bessere Einsichtigkeit stellen das Aussehen einer Person noch einmal besonders heraus, was in diesem Fall zu Belästigung und Diskriminierung führen kann.
Ich muss hier direkt einmal am Anfang sagen: Unser Projekt heißt queering the city. So viele queere Perspektiven und vor allem Lösungsansätze können wir dir im Verlauf des Spaziergangs leider gar nicht bieten. Denn es gibt kaum Untersuchungen über die Bedürfnisse queerer Menschen im öffentlichen Raum. Wir bringen persönliche Geschichten und Erfahrungen queerer Personen ein, können aber kaum wissenschaftliche Ergebnisse liefern, wie ein queerfreundlicher öffentlicher Raum aussieht. Zu genau diesem Thema möchten wir mit dir in unserem nächsten Projekt in die Tiefe gehen. Im Herbst wollen wir in Workshops die Probleme und Bedürfnisse queerer Menschen im Stadtraum vertiefen und Lösungsansätze für eine geschlechtergerechte Stadt entwickeln. Am Ende des Stadtspaziergangs wird Anna dir dazu noch mehr erzählen.
Wie du siehst, ist es nicht einfach, die Bedürfnisse aller unter einen Hut zu bekommen. Komplexer wird es, wenn man rassistische, klassistische und abelistische Diskriminierung mit einbezieht, denn Mehrfachdiskriminierung, das bedeutet, dass eine Person aufgrund von verschiedenen Merkmalen diskriminiert wird, verstärken die Probleme der Personen zusätzlich.
Das sollte trotzdem kein Grund sein, nicht zu handeln, denn viele Maßnahmen, die eine benachteiligte Gruppe unterstützen, helfen auch anderen. Eine barrierefreie Stadt entlastet zum Beispiel auch Care-Arbeit leistende Personen.
Es ist wichtig, alle Bedürfnisse einzubeziehen und auch mit kleinen Maßnahmen zu starten, um eine Veränderung zu bewirken – auch, wenn die Aufgabe erst einmal schwierig und riesig klingt.
Das Stadtentwicklungskonzept der Stadt Wuppertal aus dem Jahr 2019 möchte eine vielfältige Stadt schaffen und es soll eine „Stadt für alle“ entstehen. Konkrete Maßnahmen, die auf eine geschlechtergerechte Stadt einzahlen, werden aber nicht vorgestellt – das könnte daran liegen, dass wir es mit sehr unsichtbaren Benachteiligungen – insbesondere für nicht-betroffene Personen – zu tun haben.
Wenn wir gerade schon in einem Parkhaus stehen, möchte ich mit euch noch einmal kurz über Frauenparkplätze reden. Das ist eine super sinnvolle Sache, denn vulnerable Personen haben die Möglichkeit, Parkplätze zu nutzen, die nah am Ein- bzw. Ausgang verortet sind, um eben keine langen Wege durch das Parkhaus zu haben. Manchmal sind die Parkplätze auch noch etwas breiter, um die Care-Arbeit zum Beispiel, wenn Kinder aus dem Auto in den Kinderwagen gesetzt werden müssen, zu erleichtern. Trotzdem habt ihr bestimmt auch alle schon einmal gehört, dass die Parkplätze breiter sind, weil Frauen nicht fahren bzw. parken können, was verdeutlicht, welche Vorurteile es gegenüber Frauen gibt und wie wenig Empathie hier vorherrscht.
Um zur nächsten Station „Freizeit“ zu gelangen, verlässt du das Parkhaus und gehst die Treppe bis zum Fußballplatz hinauf.