Stadtspaziergang

Station 3 - Freizeit

An dieser Station sprechen wir darüber, wie die Nutzung von Fußballplätzen von Kindern geschlechtsspezifische Prägungen und Medieneinflüsse in der Freizeitgestaltung widerspiegelt. Erfahre, wie geschlechtliche Sozialisierung den Zugang zu öffentlichen Räumen einschränken kann und wie bauliche Maßnahmen sowie ein Umdenken dazu beitragen können, eine vielfältigere und gleichberechtigtere Nutzung dieser Räume zu ermöglichen.

Erklärungen zu Fachbegriffen, die wir verwenden, findest du in unserem Glossar.

 

Am Kasinogarten 10

Text zum Mitlesen

Du stehst hier neben einem Fußball- bzw. Basketballplatz. Wenn der Platz gerade genutzt wird, sieh dir an, welche Personen das Angebot wahrnehmen. Ist der Platz leer, gehe gerne hinein, wenn du möchtest und stelle dir vor, welche Personen diesen Platz nutzen würden. Auf deine Antwort kommen wir gleich zurück.

Wir sprechen immer wieder von Sozialisierung, deswegen wollen wir hier erst einmal darüber sprechen, was das eigentlich bedeutet:

Sozialisierung ist der Prozess, in dem wir lernen, wie man sich in der Gesellschaft verhält.

Ein bedeutender Teil der Sozialisierung findet durch das, was wir in unserem Umfeld vorgelebt bekommen, statt. Das umfasst sowohl die Erziehung durch Eltern, Lehrer und andere Autoritätspersonen, aber auch die Einflüsse aus dem sozialen Umfeld und die Gesellschaft im Allgemeinen. Unsere Sozialisierung hat einen großen Einfluss darauf, wie wir Geschlechter wahrnehmen und auch wie wir unser eigenes Geschlecht wahrnehmen. Es geht zum Beispiel darum, was für ein Geschlecht richtig oder falsch ist, was man machen darf und was nicht, wie man sich in bestimmten Situationen zu verhalten hat und so weiter …

Ein weiterer Punkt, der zur Sozialisierung beiträgt, sind die Medien. Schon bei Kindern beginnt die Prägung durch Medieninhalte und setzt sich im Laufe des Lebens fort. Filme, Bücher, Fernsehsendungen Werbung und andere Formen der Unterhaltung und Kommunikation vermitteln nicht nur Geschichten, sondern auch Werte, Normen und Vorstellungen darüber, wie die Welt funktioniert. Besonders Kinder sind in diesem Prozess äußerst empfänglich und werden durch Medien stark geprägt.

„Jeden Morgen geht Schnuddelpapa zum Arbeiten, weil er der Vater ist.“ Das war ein Zitat aus dem Kinderbuch „Schnuddelbuddel sagt Gutnacht“ von Janosch.

Bereits in jungen Jahren lernen Kinder durch Medien, welche Verhaltensweisen, Interessen und Fähigkeiten als typisch männlich oder weiblich gelten. Diese Vorstellungen können dazu führen, dass Kinder in ihrer persönlichen Entwicklung eingeschränkt werden, da sie sich bestimmten Rollen und Erwartungen entsprechend verhalten sollen.

Kennst du zum Beispiel das Schlumpfine-Prinzip, bei dem einer rein männlichen Gruppe von Protagonisten mit differenzierten Charaktereigenschaften eine einzige weibliche Figur zur Seite gestellt wird, deren Hauptmerkmal ihr Geschlecht ist. Oft wird diese weibliche Figur als extrem hilfsbedürftig und abhängig dargestellt. Dieses Prinzip kommt immer wieder vor, auch in neuen Kinderserien wie der amerikanischen Trickserie „Paw Patrol“, in der Hundewelpen zu Rettungseinsätzen ausrücken. Von den sechs Hauptfiguren ist nur eine weiblich: Skye trägt Rosa, spricht mit piepsiger Stimme und rettet häufig niedliche Häschen oder Kätzchen, während die Jungs Brände löschen.

Jungs werden oft als stark und mutig dargestellt, während Mädchen eher lieblich und zurückhaltend sein sollen. Der Bewegungsradius der Jungs ist in den Geschichten und Abenteuern viel größer als der, der Mädchen. Während Jungs Abenteuer in der ganzen Welt erleben und viel in ihrer Stadt und Umgebung unterwegs sind – also im öffentlichen Raum, verlassen Mädchen häufig nicht ihre häusliche Umgebung und die Nachbarschaft – also bleiben hauptsächlich im Privatraum. Diese gezeichneten Bilder und Geschichten schaffen gewisse Erwartungshaltungen, denen die Kinder dann versuchen zu entsprechen.

Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich vorwiegend die Rollen aus dem binären Geschlechtersystem, also Jungen und Mädchen angesprochen habe. Diese binären Rollen sowie auch Familienbilder werden in den Geschichten sehr traditionell mit heteronormativen Paaren vermittelt, bei denen die Mutter die care Aufgaben übernimmt, während der Vater Arbeiten geht. Queere Charaktere und anti normative Rollen kommen noch viel zu selten vor.

Neben den Bildern, die zu Geschlechterrollen gezeichnet werden, gibt es viele weitere Stereotype und Diskriminierungsformen, die durch Medien weitergetragen werden wie auch Rassismus, Ableismus, … und eben auch Mehrfachdiskriminierungen

Diese Prägungen haben einen deutlichen Einfluss darauf, wie verschiedene Geschlechter im öffentlichen Raum agieren. Die Menge an Raum, den sie einnehmen, ihre Lautstärke und das Gefühl von Freiheit, das sie genießen können, werden davon maßgeblich beeinflusst.

Diese Dynamik wirkt sich auch auf die Freizeitgestaltung von Personen aus, die nicht cis-männlich sind. Bestimmte Hobbys werden stark mit einem bestimmten Geschlecht verbunden, was es anderen Geschlechtern erschwert, Zugang dazu zu finden.

Hier stehen wir vor dem Haus der Jugend, neben einem kleinen Fußball- bzw. Basketballplatz. Solche Plätze gibt es in Wuppertal einige, vom Platz der Republik über den Ölberg bis hin zu dem Platz in Barmen an der Schwebebahn. Sie bieten eine tolle Möglichkeit für Kinder und Jugendliche, sich zu bewegen und einfach einen Ort zu haben, an dem sie Zeit verbringen können. Trotz ihrer Beliebtheit gibt es hier ein Problem.

Kleines Praxisbeispiel: Vor einigen Tagen war ich am Platz der Republik und habe mal geschaut, wer den Platz so nutzt. Es war super voll, ca. 25 Kinder waren auf dem Fußballplatz, aber kein Kind, dass ich weiblich gelesen habe. Es ist schwer zu sagen, wo die Mädchen waren. Alternative Angebote gab es nicht. Einige saßen auf Decken, andere spielten Fangen. Doch insgesamt waren einfach weniger Mädchen unterwegs.

Damit möchte ich auf keinen Fall sagen, dass Fußball ein Sport nur für Jungen und Männer ist. Der Sport oder der Platz sind nicht das Problem. Vielmehr liegt es an unserer Sozialisierung. Wir sehen häufiger „starke und wilde“ Jungs Fußball spielen, was das Bild des Sports prägt. „Sanfte und zurückhaltende“ Mädchen passen scheinbar weniger dazu und haben weniger Vorbilder, an denen sie sich orientieren können. Sie haben oft auch keine Gelegenheit, sich auszuprobieren, da die Plätze von Jungs dominiert werden, die den Zugang für Mädchen erschweren, weil die Mädchen auch von den Jungs nicht als „Fußballspielerinnen“ wahrgenommen werden.

Um dem entgegenzuwirken, könnten bauliche Maßnahmen ergriffen werden, wie die Schaffung von mehr kleinen Angeboten, um Ausweichmöglichkeiten zu bieten und verschiedenen Gruppen die Chance zu geben, sich auszuprobieren.

Obwohl das weit weg von der eigentlichen Absicht ist, diese Rollenbilder zu verändern, könnte es dennoch ein erster Schritt sein, um weiblich-sozialisierten Menschen ein Gefühl der Selbstwirksamkeit und Empowerment zu geben, da sie einfacher die Möglichkeit haben, sich über diese Bilder hinwegzusetzen.

Die Struktur hier ähnelt fast einer Gefängniszelle mit den Stangen und Drahtseilen. Das ist problematisch, da es oft nur einen oder zwei Eingänge gibt, was ein Sicherheitsrisiko darstellt, da man aus einer gefährlichen Situation schwer fliehen kann – ein weiteres Hindernis insbesondere für weiblich sozialisierte Personen.

Was ist jedoch, wenn man keinen Sport machen möchte und sich einfach nur mit Freund*innen treffen will? Die meisten weiblich-sozialisierten Personen bevorzugen einen geschützten Raum, da sie negative Erfahrungen im öffentlichen Raum gemacht haben oder eine Angst vor ihm entwickelt haben. Ihnen wurde von klein auf vermittelt, dass der öffentliche Raum gefährlich ist und nicht für Frauen geeignet ist.

Die Thematik geht also weit über das Kindesalter hinaus. Aus den Ergebnissen der MaLisa Stiftung von 2019, die die Selbstinszenierung in den neuen Medien untersucht hat, geht hervor, dass sich 71 % der Frauen auf ihren YouTube Kanälen im privaten Raum und hauptsächlich in ihrer Wohnung zeigen, während Männer viel häufiger den öffentlichen Raum als Kulisse nutzen. Diesen tief verankerten Prägungen gilt es also entgegenzuwirken.

Für uns umfasst der öffentliche Raum alle zugänglichen Bereiche einer Stadt und dient als Schauplatz für verschiedene soziale Aktivitäten und Interaktionen. Er bietet nicht nur Gelegenheiten für Mobilität und Konsum, sondern ist auch ein Ort des gesellschaftlichen Zusammenlebens, der Begegnungen, Freizeitaktivitäten, politische Repräsentation und Meinungsbildung ermöglicht.

Achte in Zukunft doch einmal darauf, wo sich die verschiedenen Geschlechter im öffentlichen Raum aufhalten und wie sie sich verhalten. Männlich gelesene Personen scheinen im öffentlichen Raum zu "sein", sie hängen einfach rum. Weiblich gelesene Personen sind oft in Bewegung, gehen spazieren oder sie nutzen geschützte halböffentliche Räume wie Cafés, die mit Konsum verbunden sind.

Es gibt kaum Räume ohne Konsumzwang. Weiblich gelesene Personen, die es sich nicht leisten können, ständig in Cafés einzukehren, sind daher in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Denn es ist nicht akzeptiert, sich einfach im öffentlichen Raum zu treffen und an einer Straßenecke zu sitzen. Später werden wir darauf eingehen, dass es doch einige Orte gibt, die genau das bieten.

Bei der nächsten Station, der Station 4 erfährst du noch mehr zum Thema Räume. Gehe dafür wieder die Treppen runter und dann nach rechts in die Luisenstraße bis zur Nummer 108.